Peter Müller: „De Aap“, der nicht nur den Ringrichter ausknockte

Im Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Mittelgewicht steht Anfang Juni des Jahres 1952 der Kölner Peter Müller mit Hans Stretz im Ring. Es ist das vierte Mal, dass die beiden aufeinandertreffen. In der achten Runde geschieht das Unfassbare: Müller, der sich während des gesamten Kampfes von Ringrichter Pippow benachteiligt fühlt, verpasst Pippow einen gezielten rechten Haken, und der Ringrichter liegt flach im Ringstaub. Und nicht nur das: Müller greift auch seine Betreuer an, die ihn stoppen wollen, jagt sie aus dem Ring. Natürlich wird er disqualifiziert und gesperrt, zunächst lebenslang, dann aber wird schon nach einem Jahr die Sperre aufgehoben. Der genauere Verlauf der Ereignisse wird weiter unten ausführlicher geschildert.

Dass Peter Müller dennoch zu den populärsten deutschen Boxern der Nachkriegszeit zählt, wird im Folgenden zu erklären sein. In seiner fast zwanzig Jahre dauernden Profikarriere jedenfalls muss er zu den Boxern gerechnet werden, die die Fans in Scharen in die Arenen holten und in einem erklecklichen Maß  mit dazu beigetragen haben, den Boxsport der Nachkriegszeit zu befeuern.

Die Anfänge

Peter Müller wird am 24. Februar 1927 in Köln-Sülz geboren.  Nach dem Besuch der Volksschule ist er als  Melker in der Landwirtschaft in der Eifel in der Kleinstadt Mayen tätig. Eine Geschichte, die aus dieser Zeit stammt, weiter getragen wird und schon damals Ansätze zur Legendenbildung im Umkreis Peter Müllers enthält, erzählt von der urwüchsigen Kraft, aber auch der Hilfsbereitschaft Müllers:  Zwei bekannte Boxmanager sind urlaubshalber mit dem Auto in der Gegend unterwegs, in der Müller damals arbeitet und wohnt, als sie  an einen voll beladenen Heuwagen vorbeikommen. Das hintere Rad des Wagens, so will es die Erzählung,  sei zerbrochen gewesen, und der Besitzer des Heuwagens, ein Bauer aus dieser Gegend, sei mit den Pferden ins näher gelegene Dorf gepilgert, um ein neues Rad zu besorgen. Am hinteren Rad des Heuwagens, so wird berichtet,  habe ein Mann wie ein Fels gestanden, der die ungeheure Last auf den Schultern hochgehalten habe, bis der Bauer mit dem neuen Rad eingetroffen sei. Der Mann mit den außergewöhnlichen Kräften, und das wird bis heute erzählt, ist Peter Müller.

Bereits mit zwanzig Jahren wird er Profi, nachdem er nur kurze Zeit als Amateur geboxt hatte. Von der Amateurzeit ist nur wenig überliefert.  Zunächst verweigert ihm der BDB die Zulassung als Profi, weil er wegen Diebstahls vor Gericht gestanden und auch verurteilt wurde. Die Strafe wird aber zur Bewährung ausgesetzt, und auch der BDB erteilt ihm eine Lizenz „auf Bewährung“, weil er, wie behauptet wird,  die gestohlenen Gegenstände nicht für sich benutzt, sondern „armen Leuten“ geschenkt habe.  

Zunächst wechselt er seine Betreuer, Trainer wie Manager, ungewöhnlich häufig. Erster Manager wird Josef Steinacker, der sich später als Manager des Schwergewichtseuropameisters Heinz Neuhaus einen Namen macht. Dann sieht man den ehemaligen deutschen Bantamgewichtsmeister bei den Amateuren, den Essener Erwin Rustemeyer für kurze Zeit als seinen Betreuer; danach wird Alois Ulderich, der ihn noch im Oktober 1947 bei einem Kampf im Kölner Eisstadion in der fünften Runde ausgeknockt hatte, sein Trainer. Auch Jupp Besselmann, der frühere Europameister im  Mittelgewicht, gegen den er Anfang September 1949 noch im Ring stand, betreute ihn. Erst mit Jupp Thelen hatte die Suche nach einem stabilen Manager ein Ende. Thelen, ein Kölner Gemüsekaufmann,  der  durch die Heirat Müllers mit dessen Tochter Greta auch sein Schwiegervater wird, sollte für längere Zeit sein Manager werden.

Schon in seiner Anfangszeit wird berichtet, wie schwer es seinen Betreuern wurde, das Temperament des talentierten und auch schlagstarken Mittelgewichtlers einigermaßen in den Griff zu bekommen. Unter anderem wird ein Vorfall bekannt, dass er einen Kontrolleur der Kölner Straßenbahnbetriebe umgehauen habe, weil der ihm sagt, dass er Peter Müller nicht kenne. Müller fasst dies als Provokation auf, weil er meint, alle Kölner müssten den berühmten Boxer kennen. Seine Trainer verzweifeln nicht selten an der Aufgabe, ihn zum regelmäßigen Training anzuhalten. Zum Beispiel weigert er sich konsequent, die damals geforderten regelmäßigen Waldläufe zu machen, weil er der Überzeugung ist, dass das seine Krummbeine nicht mitmachen würden. In den Trainingslagern versuchten die Manager und Trainer, ihn einigermaßen auf die Kämpfe einzustellen und ihm ein positives Feedback zu liefern,  das er braucht, um entsprechend motiviert zu sein.  Wie sehr er gegenüber anderen Boxern hervorsticht, wird daran deutlich, dass er nach dem Ausheilen einer Handverletzung  in der Öffentlichkeit mit aller Kraft gegen eine Steinmauer schlägt. Er will damit allen demonstrieren, dass seine Hand wieder in Ordnung ist.

Müllers Weg zum Meistertitel

Seinen Debütkampf liefert er am 15. Mai 1947 in Hamburg. In der zweiten Runde knockt er Walter Trittschack, einen heute völlig vergessenen Mittelgewichtler, in der zweiten von sechs Runden aus. Bis ins Jahr 1949 verliert er, abgesehen von zwei KO-Niederlagen gegen Ulderich (siehe oben) und Dieter Hucks in der ersten Runde in Berlin sowie einer Disqualifikationsniederlage gegen Erich Priess am 21.11. 1947 in Düsseldorf,  keinen Kampf. Am 14. Mai 1949 steht er in seinem ersten Meisterschaftskampf im Mittelgewicht mit Carl „Kuddel“ Schmidt im Kölner Eisstadion im Ring. Der acht Jahre ältere und entsprechend erfahrenere Hamburger wird wegen Tiefschlags in der dritten Runde disqualifiziert, und Peter Müller kann sich zum ersten Mal in seiner Karriere den Meistergürtel umlegen. Vier Mal wird er nach diesem Titelgewinn noch Deutscher Meister im Mittelgewicht werden. Unbedingt muss man dabei beachten, dass ein deutscher Meistertitel in dieser Zeit ein viel bedeutsameres Gewicht hatte, als es heute der Fall ist. Müller aber sagt auch in der Öffentlichkeit, dass ihm ein Sieg durch Disqualifikation nicht so richtig froh machen könne.

Peter Müller und Hans Stretz:  Rivalen im Ring 

 Mittlerweile ist „De Aap“, wie er überall in Köln genannt wird, zu einem Zugpferd in den Boxarenen geworden. Dazu trägt insbesondere auch sein Kampfstil bei. Müller ist dafür bekannt, dass er kompromisslos nach vorne geht, immer im Angriff, nie aufgebend, jede Gelegenheit zu einem vorzeitigen Sieg suchend.  Nach drei weiteren Siegen, die aber nicht als Titelkämpfe ausgewiesen sind, steht er mit dem in Berlin geborenen und später in Erlangen residierenden Hans Stretz im Ring. Stretz ist ein weiterer bedeutender deutscher Mittelgewichtler der Zeit. Der ungefähr gleichaltrige Erlanger hat eine längere Siegesserie hinter sich, die ihn zum Titelkampf gegen Müller geführt hat. Der Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Mittelgewicht  ist für den 24. Juli 1949  in der Berliner Waldbühne angesetzt. In der dritten Runde trifft Müller eine harte Rechte des Herausforderers, und PM oder Pitter,  wie er von manchen gerufen wird, ist weit über die Zeit am Boden. Schon ein Jahr später – zwischendurch hat Müller eine Reihe weiterer Kämpfe siegreich beendet – steht er zum zweiten Mal mit Stretz im Ring. Am 10. September 1950 gelingt es ihm, mit einem Knockout in der dritten Runde den Meistertitel zurückzuholen. Kampf Nummer drei mit Stretz findet wiederum in Berlin statt, am 26. April 1952.  In der dritten Runde geht Stretz zu Boden, und Müller drischt dennoch weiter auf den Herausforderer ein, trifft dabei das Rückmarknervengeflecht, so dass Stretz sekundenlang bewegungsunfähig ist. Max Pippow, der Ringrichter, schreitet erst spät, für manche zu spät,  zur Tat und disqualifiziert Müller.  Wiederum ist er seinen Titel los.

Der Skandalkampf

Schon eineinhalb Monate später kommt es zum vierten Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten. Diesel Mal wird der Kampf um die Mittelgewichtsmeisterschaft in Köln ausgetragen. Mehr als 12.000 Boxfans umsäumen am 07. Juni 1952 den Ring im Kölner Eisstadion. Ringrichter ist wiederum Max Pippow. Es stellt sich schnell heraus, dass er der falsche Mann im Ring ist, um den Kampf in stabiler Fairness  über die Runden gehen zu lassen.

Titelverteidiger Hans Stretz ist um einiges größer als „Pitter“. Um an ihn heranzukommen, muss Müller versuchen, unter die Verteidigung bzw. Deckung  des Meisters zu gelangen. Aber: Immer dann, wenn er es geschafft hat, Stretz im Nahkampf zu stellen, unterbricht Pippow den Kampf und lässt das Trennkommando hören. Bei dem ohnehin nicht gerade disziplinierten Müller staut sich schnell die Wut. Und als Pippow in der achten Runde nochmals die beiden Gegner trennen will, platzt dem Herausforderer der Kragen. Mit einem vollen rechten Haken  trifft er den Ringrichter an der Kinnpartie, und Pippow knallt wie ein gefällter Baum zu Boden. Minutenlang liegt er flach auf dem Ringbelag. Müller sieht jetzt seine Zeit gekommen und schlägt wild auf den Titelträger ein, keiner kann ihn mehr stoppen. Als Manager Fritz Gretzschel in den Ring springt und eingreifen will, schlägt er auch auf ihn ein. Die Sekundanten, die ebenfalls heraneilen, prügelt er aus dem Ring. Selbst sein Schwiegervater, Jupp Thelen, muss vor ihm die Flucht ergreifen. Dann steigt Müller aus dem Ring, zeigt sich in Siegerpose, und ein nicht geringer Teil der Zuschauer jubelt ihm zu, während der Sieger, und das ist Hans Stretz, von vielen ausgepfiffen wird.

Selbstverständlich ist er damit disqualifiziert, und Stretz bleibt Deutscher Meister im Mittelgewicht. Zunächst wird Müller zusätzlich auf Lebenszeit gesperrt. Peter Müller stört das alles nicht sehr. Er geht für eine Weile zu den Catchern, wo er ebenfalls große Zuschauermassen anzieht. Die Sperre, die auf Lebenszeit angesetzt ist, wird schon ein Jahr später aufgehoben, Sein Landesverband erteilt ihm eine „Notlizenz“; nur wenig später wird er voll begnadigt.

Peter Müller gibt selbst als Ursachen  für sein Ausrasten im vierten Stretz-Kampf an, dass er einerseits von Pippow systematisch benachteiligt gewesen sei, andererseits aber während des Kampfes einige Mal von Stretz dadurch provoziert gewesen sei, dass der ihn einen „Zigeuner“ genannt habe, ohne vom Ringrichter angemahnt zu werden.  „Da hab ich ihn ausgemacht“, soll Müller gesagt haben.

„De Aap“ in den USA und die Kämpfe mit Gustav Scholz

Schon am 09. Mai 1953 sehen ihn die Boxfans in Köln wieder. Im Eisstadion steht er mit dem Briten Alex Buxton im Ring, verliert aber unglücklich wegen eines schweren Cuts in der vierten Runde durch TKO. Nach einer weiteren Siegesserie, aber gegen eher unbedeutende Gegner, schifft  er erstmals in die USA ein. Am 15. November 1954 ist er Gegner des späteren Weltmeisters im Mittelgewicht, Gene Fullmer. Gegen den vier Jahre jüngeren US-Amerikaner hat er in Brooklyn keine Chance und wird klar ausgepunktet. In den beiden Aufenthalten in den USA boxt er mit recht unterschiedlichem Erfolg, aber auch dort ist er als Kämpfer durchaus beliebt. In der deutschen Presse wird insbesondere eine Episode, die sich in den USA zugetragen haben soll, überall verbreitet, als er  im Ring mit einer Mundharmonika die Nazi-Hymne („Horst-Wessel-Lied“) anstimmt, weil er der Ansicht ist, dass diese Hymne auch nach dem Krieg in Gebrauch sei.

Ende November 1956 wird er wieder Deutscher Mittelgewichtsmeister. Im Berliner Sportpalast siegt er im Kampf um den vakanten Mittelgewichtstitel Günter Hase mit einem klaren Punktsieg.

Nur wenige Monate trägt er den Gürtel, dann steht er mit dem Berliner Gustav „Bubi“ Scholz  in einem weiteren Titelkampf am 29. Juni 1957  im Ring. Kurz vor dem Kampf, so wird’s in der Presse jedenfalls kolportiert, soll er mit Blick auf Scholz, der mittlerweile auch im Filmgeschäft unterwegs  und wegen seines attraktiven Aussehens oft in den damaligen Illustrierten abgebildet ist, gesagt haben: „Ich hau dem Bubi dat Filmjesech kapott“.

In dem von vielen Boxfans herbeigesehnten Kampf in der Berliner Deutschlandhalle, der vor fast 10.000 Zuschauern stattfindet, tritt erstmals nach seiner schlimmen Erkrankung  Gustav Scholz mit einem ernstzunehmenden Gegner wieder im Ring auf. Er möchte  allen zeigen, dass es ihm endgültig gelungen ist,  eine langwierige Krankheit zu überwinden, die ihn fast die Boxkarriere gekostet hat. Scholz, der von vielen wegen seiner Erkrankung (offene Tuberkulose) bereits abgehakt ist,  will allen zeigen, dass er nach wie vor Ansprüche auf höhere europäische Aufgaben verfolgt.

Die Anweisungen der Betreuer Müllers, insbesondere seines damaligen Trainers, Jupp Besselmann, und seines Managers, Jupp Thelen, lauten: Bleib zunächst zurückhaltend, hinter der Deckung, ermuntere Scholz zur Aktivität, damit der schnell ermüdet. Keiner glaubt, dass Scholz wegen seiner langen Krankengeschichte lange durchhalten kann. Erst nach sechs Runden, so sagen ihm seine Betreuer, solle er den Angriff suchen. Scholz, der nüchterne Konterboxer, hält sich aber in den ersten Runden selbst zurück, versucht allenfalls, den Kölner mit seiner rechten Führhand zu zermürben. Peter Müller aber kann nur kurze Zeit die Anweisungen der Betreuer befolgen, ihn juckt es, anzugreifen, denn er lebt von seiner ständigen Angriffslust und dem wühlenden Vorwärtsmarsch im Ring. Bereits in Runde zwei stürzt er nach vor, hinein in den Gegner, sucht den unmittelbaren Schlagabtausch. Und kommt dem kühl operierenden Konterboxer Scholz damit entgegen. In der Rechtsauslage boxend, wartet Scholz auf eine Kontergelegenheit mit seiner Linken. Kurz vor Rundenschluss bringt er seine Linke mit explosiven Angriffen nicht nur einmal  ins Ziel. Besselmann schreit Müller in der Rundenpause an, er solle sich passiver verhalten und die Abmachungen, die im Training getroffen wurden, befolgen. Der Kölner aber denkt nicht daran, sucht immer wieder den Schlagabtausch, taucht in seinen Gegner, versucht ihn, im Nahkampf zu stellen. In der dritten Runde muss er schwere Kombinationen von Scholz  und einige schwere Linke  einstecken.  Kurz ist er am Boden,  kommt schnell wieder hoch, taumelt noch und wird vom Ringrichter angezählt. Bei „Acht“ meldet er sich kampfbereit, springt auf Scholz zu und trommelt auf den Berliner ein. Da treffen ihn eine harte trockene Linke und nachfolgend ein schwerer rechter Haken. Müller liegt weit über die Zeit am Boden. Mit Tränen verlässt er den Ring. Reporter berichten, dass er beim Abgang zu Helga Scholz, der Ehefrau Gustavs, gesagt haben soll: „Ich jratuliere Sie. Sie ham ne jute Mann. Ich hann dat jleich jewusst“. Seinen Meistertitel ist er los.

Nach einer weiteren Siegesserie in den Jahren 1958 und 1959, unter anderem auch gegen den talentierten Hamburger Max Resch, den er in der fünften Runde  in Frankfurt vorzeitig besiegt, kommt es zum nächsten Aufeinandertreffen mit Scholz. Der Kampf findet am 14. November 1959 in Berlin statt.  Es  geht dieses Mal nicht nur um den deutschen, sondern auch um den europäischen Mittelgewichtstitel. Schon in der ersten Runde wird er in der Charlottenburger Deutschlandhalle ausgeknockt. . Deutlich zeigt sich, dass Müller mit dem aufstrebenden Stern des deutschen Boxsports überfordert ist. Und Gustav Scholz wird seinen Weg zum Weltklasseboxer weiter gehen,  

Wieder Mittelgewichtsmeister und Kampf um die Europameisterschaft

Entmutigen lässt sich Peter Müller nie. Er nimmt jede Herausforderung an. Auch die klare Niederlage im August 1961 in der Dortmunder Westfalenhalle gegen den späteren Europameister im Halbschwergewicht, Erich Schöppner,  stoppt ihn nicht. 1962 holt er sich in der Kölner Messehalle durch einen Knockout in der vierten Runde gegen den Hamburger Hanswerner „Buttje“ Wohlers  zum vierten Male den deutschen Meistertitel im Mittelgewicht und verteidigt ihn wenig später in Hamburg durch einen weiteren vorzeitigen Sieg. Im Jahre 1963 versucht er erneut, gegen den ehemaligen ungarischen Olympiasieger Laszlo Papp den europäischen Mittelgewichtstitel zu  holen. Ende März verliert er diesen Kampf vorzeitig in der Dortmunder Westfalenhalle. Schon in einem Nichttitelkampf war er von dem Ungarn in Wien in der vierten Runde ausgeknockt worden.  Nach der Niederlage im EM-Kampf gegen Papp legt Müller auch seinen deutschen Titel nieder.

Seine Boxsportabstinenz dauert nicht lange. Er kann’s nicht lassen. Noch einmal tritt er nach einer Reihe von gewonnenen Kämpfen im Kampf um die deutsche Mittelgewichtsmeisterschaft an. In Hamburg schlägt er, da ist er schon 37 Jahre alt, den fast zehn Jahre jüngeren Heini Manhardt am 10. April 1964  in der fünften Runde weit über die Zeit KO. Damit  ist er zum fünften Male Deutscher Meister im Mittelgewicht. Wenige Tage später aber verzichtet er auf den Titel, damit sein Kölner Boxkamerad Jupp Elze keine Schwierigkeiten hat, den Titel zu holen.

Das heißt aber nicht, dass er vom Boxsport Abschied nehmen will. Mit 38 Jahren steht er am 16. Oktober 1965 im Europameisterschaftskampf gegen Bruno Visintin aus Italien. Es geht um den Titel im Superweltergewicht.  Fünfzehn Runden sehen die Boxfans in der Dortmunder Westfalenhalle Müller im Vormarsch und nach Punkten klar führend. Da ruft der dänische Ringrichter, Svend Aage Christensen, den Italiener zum Punktsieger aus. Die meisten der über 10.000 Zuschauer im weiten Rund des Westfalenstadions protestieren lauthals, das Urteil aber hat Bestand. Am 02. September 1966, mit 39 Jahren, versucht er ein letztes Mal, den deutschen Mittelgewichtstitel zu erkämpfen. Gegen den zwölf Jahre jüngeren Jupp Elze, der 1968, wenige Tage nach einem Europameisterschaftskampf versterben sollte, verliert er durch Knockout in der zweiten Runde. Wenige Monate zuvor war er auch in einem Kampf gegen den Weltklasse-Mittelgewichtler Dick Tiger in der dritten Runde vorzeitig besiegt worden.

In seiner langen Laufbahn sah man Peter Müller in insgesamt 175 Kämpfen, wovon er 132 gewinnen konnte und in 68 Kämpfen vorzeitig siegte. 26 Niederlagen sind registriert sowie 14 unentschieden ausgegangene Kämpfe.

Nach seiner Boxkarriere ist er im Spielautomatengeschäft unterwegs. Bei vielen Veranstaltungen tritt er auch als Ehrengast auf, insbesondere auch im Kölner Karneval, und seine Popularität ist selbst  in den späten Jahren seines Lebens nahezu ungebrochen. In der Nacht zum 22. Juni 1992 verstirbt er an den Folgen eines Schlaganfalls. Peter Müller wird 65 Jahre alt. Sein Grab befindet sich auf dem Kölner Südfriedhof. In diesem Jahr hätte er 85. Geburtstag gefeiert.

Fazit und Würdigung

In den Augen mancher Beobachter war Peter Müller ein undisziplinierter, wild schlagender, jähzorniger Boxer, der als „enfant terrible“ des deutschen Boxsports einzuordnen sei. Bei den meisten Boxfans war er zu seiner Zeit ungemein populär, nur übertroffen von dem Berliner Mittelgewichtler und späteren Halbschwergewichtler Gustav „Bubi“ Scholz, gegen den er in seinen Kämpfen nie den Hauch einer Chance besaß. Müllers außergewöhnliche Beliebtheit ist auf seinen nie zu brechenden Kampfeswillen, seinen ständigen Vorwärtsdrang und seinem nie erlahmenden Mut in all seinen Kämpfen zurückzuführen. Dass er auch Großmut und Warmherzigkeit an den Tag legen konnte, wird an einer Episode, die sich bei seinen ersten Kämpfen zugetragen haben  soll und die ebenfalls zu seiner Legendenbildung beigetragen hat, deutlich: Er tritt gegen einen ungleich größeren Gegner an, gegen den Müller, damals noch eher schmächtig anzusehen, scheinbar chancenlos ist. Müller aber zeigt sich im Kampf überlegen und drischt  gnadenlos auf den Kontrahenten ein. Alle warten auf das endgültige Aus, auf den Knockout seines Gegners. Da packt Müller das Mitleid mit dem mitgenommen aussehenden Mann. Er soll ihm zugeflüstert haben, dass er ihm nichts mehr tun wolle, und er möge doch keine Angst haben. In den folgenden Runden scheint Müller immer fürchterlich zuzuschlagen, aber seine Schläge lässt er absichtlich auf die Deckung knallen. Der viel größere Kontrahent erreicht deshalb stehend das Kampfende, das natürlich Müller als Punktsieger sieht. Nach dem Kampf bedankten sich die Betreuer seines Gegners überschwänglich bei ihm für den „Anstand“, den er bewiesen habe.   

Diese Geschichte lässt erahnen, warum das Kölner Urgestein bei den meisten Boxfans, und nicht nur im Kölner Raum, diese begeisternde Zustimmung genoss. Jedenfalls ist er in seiner In seiner fast 20jährigen Profikarriere zu den besten deutschen Mittelgewichtlern zu zählen, die in den 1950ern und Anfang der sechziger  Jahre auch die europäische Spitze erreichten.  Nicht nur das Ereignis um den Skandalkampf mit Ringrichter Pippow oder seine Sprüche, die nicht selten auch erfunden wurden (auf  die Frage, wie er’s mit „Omo“ hält, soll er beispielsweise geantwortet haben: „Dä schlahn ich in der ersten Runde kapott“),  haben ihn also in Deutschland bekannt gemacht. Auch seine boxerischen Leistungen, die ohne Zweifel im technischen Bereich eher limitiert waren, die aber Kampfkraft und auch Schlagkraft beinhalteten, sollten ihm einen Ehrenplatz im deutschen Boxsport sichern. Fünf Mal errang er den Titel eines Deutschen Meisters, und auch wenn ihm trotz mehrerer Anläufe der Gewinn der Europameisterschaft nicht gelang, ist er dennoch in seiner Gewichtsklasse in seiner aktiven Zeit in den oberen Reihen der europäischen Mittelgewichtler einzuordnen. Weltklasse, wie sie Gustav Scholz verkörperte, hat er allerdings nie erreichen können.

5 Gedanken zu “Peter Müller: „De Aap“, der nicht nur den Ringrichter ausknockte

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