James J. Jeffries: Kraftpaket und Puncher

Im „Greater New York Athletic Club“ auf Coney Island in Brooklyn wird Anfang Juni 1899 James J. Jeffries vor den Augen der Zuschauer vom aktuellen Schwergewichtsweltmeister Bob Fitzsimmons nach allen Regeln der Kunst vermöbelt. Fitzsimmons trifft, wie er will, und der Herausforderer weiß dem anscheinend nichts entgegenzusetzen. Aber er fällt nicht. In der elften Runde bietet sich Jeffries eine winzige Gelegenheit, und er nutzt sie. Ein harter linker Haken trifft den Weltmeister, gefolgt von einem gewaltigen Aufwärtshaken, und Fitzsimmons ist schwer ausgeknockt. Neuer Weltmeister im Schwergewicht: James J. Jeffries. Über sechs Jahre wird er den Titel behalten.

Jeffries‘ erste Jahre und als Amateur

 James J. (Jackson) Jeffries, Sohn des Farmers Alexis Jeffries und dessen Ehefrau Rebecca Boyer Jeffries,  kommt  am 15. April 1875 in der Ortschaft Carroll im US-Bundesstaat Ohio zur Welt. Als er sechs Jahre ist,  zieht die Familie mit sieben weiteren Kindern nach Los Angeles. Schon als Jugendlicher muss er selbstständig Geld verdienen und arbeitet bei der „Southern California Packing Company“. Oft muss er bis an die achtzehn Stunden täglich arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, und fällt dann am Abend wie ein Toter ins Bett.  Schon damals ist er bei seinen Kollegen als der Mann bekannt, der „Muskeln aus Stahl“ hat und auch schwerste Arbeit ohne Murren und Klagen verrichtet. Er arbeitet  in einer Kesselschmiede, weshalb er später den Kampfnamen „Fighting Boilermaker“ verpasst bekommt. Schon machen Geschichten die Runde, die ihn bereits damals wegen seiner außergewöhnlichen Körperkräfte und Widerstandsfähigkeit  zur Legende  werden lassen. So wird beispielsweise berichtet,  dass er in der Leichtathletik vergleichsweise  außergewöhnliche Leistungen vollbringt. Er habe die 100 Yards knapp über zehn Sekunden gelaufen und sei über sechs Fuß (das sind umgerechnet 1,83 Meter)  hoch gesprungen. Später erzählt man sich, da ist er aber schon als populärer Weltmeister im Schwergewicht unterwegs, dass er bei einer Jagd einen abgeschossenen Hirsch über neun Meilen (das sind ca. 14,5 km) ohne abzusetzen ins Jagdcamp  getragen habe.

Als er in den Zeitungen und durch Hörensagen vom Triumph Corbetts über John L. Sullivan im Titelkampf um die Schwergewichtsweltmeisterschaft erfährt, wird er vom Boxfieber erfasst. Mit vierzig anderen Kameraden gründet er den „East Side“-Boxclub, einen Amateurverein in Los Angeles. Nach der Arbeit wird Nacht für Nacht hart trainiert. Berichtet wird, dass es der junge Jeffries ist, der am verbissensten trainiert und dass die anderen Mitglieder im Club die Überlegenheit von James schnell anerkennen. Sein vernichtender Punch ist von allen gefürchtet.

Das zentrale Erlebnis kommt aber erst noch. Seine Freunde wenden sich an ihn und motivieren ihn, einen Kampf gegen einen jungen Schwarzen auszutragen, einen Schwarzen, der ihm körperlich gewachsen erscheint. Aber sie beruhigen den jungen James und meinen, er solle sich dadurch nicht irritieren lassen. Den Namen des Schwarzen nennen sie nicht, als Jeffries nachfragt. Und er willigt ein, glaubt zunächst, sich auf einen Trainingskampf einzulassen. Der Schwarze aber will einen „regulären“ Kampf mit Geldeinsatz. Die beiden einigen sich auf einen „Fight-to-finish; es soll also bis zur gänzlichen Niederlage eines der Kontrahenten gekämpft werden. Ein Vertrag wird unterschrieben, allerdings heimlich, denn die Amateursatzungen verbieten Geldeinsätze. Erst kurz vor dem Kampf erfährt Jeffries den Namen seines Gegners: Es ist Hank Griffin, ein in der Umgebung bekannter Profi, der mit einer Reihe von Erfolgen aufwarten kann. Jeffries ist zwar geschockt, denn er weiß um die Kampfkraft seines Gegners, aber er vertraut auf seine außergewöhnliche Schlagkraft.

Der Kampf, der in manchen Quellen auch erst einige Zeit später als Profikampf aufgeführt ist, findet im „Manitou-Club“ in Los Angeles statt. Ohne Unterlass bedrängt ihn der Schwarze in den ersten vierzehn Runden. Da gelingt dem Amateur, der erst 19 Jahre alt ist,  eine linke Gerade an den Kopf des Profis, und der wird durch den Ring geschleudert, so dass ihn nur die Seile darin hindern, aus dem Viereck zu fallen. Wackelig steht er im Ring, da trifft Griffin eine vernichtende Rechte von Jeffries ans Kinn, und er liegt flach auf dem Boden. Später wird er als Profi noch einige Male auf Griffin treffen.

Jeffries ist durch diesen Kampf in der näheren Umgebung schon zu diesem Zeitpunkt eine Berühmtheit geworden. Man drängt ihn, Profiboxer zu werden. Aber er braucht die Einverständniserklärung seiner Eltern. Als er die erhält, beginnt seine Karriere.

Jeffries als Profi

 Seine offiziell registrierte Profilaufbahn beginnt am 29. Oktober 1895. In Los Angeles trifft er auf Hank Lorraine, den er in zwei Runden abfertigt. Ebenfalls in der zweiten Runde knockt er Anfang Juli des nächsten Jahres  Dan Long in San Francisco aus. Mittlerweile ist der zu dieser Zeit aktuelle Weltmeister im Schwergewicht, James J. Corbett, der „Gentleman-Jim“, auf ihn aufmerksam geworden. Seine Trainer empfehlen ihn, den noch jugendlichen Jeffries zum Sparringspartner zu nehmen. Und Jeffries erkennt im Trainingscamp im Asbury Park von Los Angeles, dass er keinesfalls zum Schlachtopfer des Weltmeisters wird und  im Sparring nach seiner Einschätzung durchaus mithalten kann. In ihm setzt sich fest, dass er die Fähigkeiten und das Potenzial besitzt, dem Weltmeister irgendwann als Herausforderer gegenübertreten zu können. Wichtig ist für ihn die Erkenntnis, dass er weiter lernen, trainieren muss, um wirklich an die Spitze im Schwergewicht zu kommen.  Zunächst betreut ihn De Witt Van Court, der damals in den Boxkreisen hochgeschätzt ist; später wird für lange Zeit Billy Delaney sein Trainer und Betreuer sein.  Dazu kommt bald als Manager William A. Brad, ein gewiefter Profi, der bereits durch sein kluges Management Corbett bis zum Weltmeistertitel gebracht hat. Brady hat  Jeffries als Sparringspartner Corbetts beobachtet  und schnell erkannt, dass es gelingen kann, den jungen Jeffries an die Spitze des Schwergewichts zu führen. Umso mehr, als Bob Fitzsimmons in der Zwischenzeit  Corbett den Titel in einem aufsehenerregenden Kampf abgenommen hat. Brady will den Titel zurück, und der richtige Mann dafür ist nach seiner Überzeugung nur einer: James J. Jeffries.

Brady führt ihn zum Titelkampf

 Mit Vorsicht und Gefühl für die richtigen Gegner beteiligt sich Brady am Aufbau des neuen Mannes. Nach weiteren Knockouts gegen drei Gegner steht er am 16. Juli 1897  in San Francisco mit Gus Ruhlin im Ring. Er trifft den Mann aus Akron in Ohio mit einem schweren Haken an die Kinnpartie, so dass ihn nur der Rundengong retten kann. In den nächsten Runden hält Ruhlin durch, und der Ringrichter erklärt nach zwanzig Runden den Kampf als „unentschieden“. Eine Entscheidung, die das Publikum nicht sehr zustimmend aufnimmt. Im nächsten Kampf gegen Joey Choynski, einen erfahrenen Schwergewichtler aus San Francisco, der seit 1891 im Ring steht, erreicht  Ende November 1897  der nun 22jährige Jeffries wiederum nur ein „unentschieden“. Nach drei Siegen gegen Goddard, Jackson, Everett, die er alle durch Knockouts vorzeitig beendet,  schlägt er auch Tom Sharkey, der aber die zwanzig  Runden durchsteht, auch wenn er in der 11. Runde niedergeschlagen wird. Ein Titelkampf um die Schwergewichtsweltmeisterschaft ist nun in Reichweite; vorher muss er aber noch den emporstrebenden Bob Armstrong besiegen. In dem  am 05. August 1898 in New York stattfindenden Kampf kann er sich zwar behaupten, allerdings nur wenig überzeugender Manier, und außerdem: Seine linke Hand ist gebrochen. Armstrong wird später als einer seiner Sparringspartner verpflichtet.

Weltmeister im Schwergewicht

 Nach zwei Jahren schafft es  Brady dennoch, den von vielen herbeigesehnten Titelkampf mit dem Weltmeister im Schwergewicht, Bob Fitzsimmons, einzulochen. Es hatte einige Anstrengung gekostet, den Champ zur Titelverteidigung gegen Jeffries zu motivieren, denn der machte eine Menge Geld in einem Varieté und dachte zunächst nicht daran, seinen schwer erkämpften Titel aufs Spiel zu setzen.   Der Kampf wird im „Bauer-Pavillon“ auf Coney Island auf den 09. Juni 1899 festgesetzt. 12.000 Zuschauer finden sich am Kampftag in der Arena ein. Im dreizehnten Kampf seiner Profikarriere kämpft der Herausforderer um den Titel.

James J. Jeffries ist am Kampftag mit 93,4 kg um etwa achtzehn Kilogramm schwerer als Fitzsimmons, der immer eher im Mittelgewicht einzuordnen gewesen ist, während Jeffries seit seinem Profistart bis zum Ende der Karriere konstant ein Gewicht zwischen 93 bis ca. 104 kg auf die Waage bringen wird. Jeffries hat eine Körpergröße von 1,83 m (in einigen Quellen werden 1,88 m angegeben), Fitzsimmons ist um die 1,82 m groß.

Im Ring wirkt der Weltmeister im Vergleich zu Jeffries auf die Zuschauer eher wie ein Hänfling. Er hat den Weltmeistertitel durch einen  zwei Jahre zurückliegenden, sensationellen Knockout in der 14. Runde  gegen James J. Corbett errungen und ihn erst einmal, nämlich im  Juni 1897, gegen Lew Joslin, einen kaum bekannten und limitierten Schwergewichtler, der nach diesen Kampf niemals mehr aufgetreten ist, durch Knockout in der zweiten Runde verteidigt. Fitzsimmons ist vollkommen überzeugt davon, dass ihm Jeffries niemals gefährlich werden kann. Er wisse, sagt er im Vorfeld des Kampfes, dass der Herausforderer „hart“ sei, aber auch unfertig. Drum könne er ihm nicht das Wasser reichen. Er sieht Jeffries eher als langsamen und unbeholfenen Gegner, der von ihm, dem technisch ausgereifteren und schnelleren Mann, leicht geschlagen werden kann.

Die Einschätzung Fitzsimmons‘ scheint sich zunächst zu bestätigen. Der Weltmeister arbeitet einen klaren Punktevorsprung heraus. Er trifft den Herausforderer, der zum Kampftermin erst 24 Jahre alt und mithin 12 Jahre jünger als der Weltmeister ist, mit harten und schnell geschlagenen linken und rechten Händen. Alarmierend für  Fitzsimmons ist es aber, dass Jeffries alle Schläge hinnimmt, als seien sie völlig wirkungslos. Auch Fitzsimmons‘ berüchtigter Spezialschlag auf den Solarplexus, mit dem er einige seiner Gegner, unter anderem Exweltmeister Corbett, vorzeitig besiegt hat, scheint bei Jeffries nicht zu wirken. Er schafft es nicht, Jeffries niederzuschlagen, der immer wieder den Weltmeister angreift und auf seinen finalen Schlag setzt. In der 11. Runde ist es so weit: Er trifft Fitzsimmons mit einem schweren Linkshaken, lässt einen vernichtenden Aufwärtshaken folgen. Der Weltmeister ist weit über die Zeit am Boden. Neuer Weltmeister im Schwergewicht: James J. Jeffries.

Titelverteidigungen und der „Kampf des Jahrhunderts“: Corbett vs. Jeffries

 Nur zwei Gegner fordern ihn bis ins Jahr 1900 heraus. Aber es sind durchaus harte Puncher vom Typ des neuen Weltmeisters. Anfang November 1899 besiegt er in einem Refight „Sailor“ Tom Sharkey, einen Iren, der weitaus kleiner und über 14 kg weniger wiegt,  auf Coney Island nach 25 Runden mit einem klaren Punktsieg. Nur fünf Monate später, im April 1900, knockt er Jack Finnegan nach 126 Sekunden in der ersten Runde aus.

William A. Brady, sein Manager, will aber einen Fight mit Exweltmeister Corbett und verkündet, dies würde der größte Kampf des Jahrhunderts werden. James J. Corbett hatte sich nach seiner letzten Niederlage im Weltmeisterschaftskampf gegen Fitzsimmons und einer Disqualifikation gegen Tom Sharkey vom Boxsport zurückgezogen. Er lebt in eher dürftigen Verhältnissen als Betreiber einer kleinen Kneipe in New York. Schon 34 Jahre ist er alt, als ihn das Angebot des Jeffries-Managers erreicht. Und er nimmt das Angebot ohne langes Hin und Her an. Er beginnt ein hartes Training, bringt seinen Körper auf das frühere Kampfgewicht. Berichtet wird, dass er unermüdlich trainiert habe, dass er „unerbittlich“ gegen sich selbst, aber auch gegen seine Sparringspartner auftrete. Bald traut sich, so erzählt man sich, kaum einer mehr, gegen ihn im Sparring anzutreten. Seine Eltern schreibt er, dass er keine „großen Hoffnungen“ hege, aber dass sie gewiss sein könnten, sich seiner nie zu schämen müssten. Im Grunde aber ist der Exweltmeister ziemlich sicher, Jeffries schlagen zu können. Beim Sparring hat er, so glaubt er, den Jungen immer im Griff gehabt. Zudem wird ihm berichtet, dass sich Jeffries wenig sorgfältig auf den Kampf vorbereitet habe.

Der Kampf ist auf den 11. Mai 1900 festgelegt, und gegenüber stehen sich der Exweltmeister, der „Gentleman Jim“, und sein ehemaliger Trainingspartner, der nun den Thron des Schwergewichtsweltmeisters einnimmt. Jeffries wiegt fast 15 Kilogramm mehr als der Herausforderer. Die ersten Runden zeigen, dass Corbett offenbar einen zweiten Frühling in seiner Karriere durchmacht. Es scheint so, als erteile  der Altmeister dem 25jährigen eine Lektion im Boxen. Corbett treibt den Weltmeister vor sich her, Jeffries wirkt ratlos, seine Schläge verpuffen, denn Corbett lässt sie durch elegante Meidbewegungen ins Leere laufen. Nur noch zwei Runden sind für den auf 25 Runden angesetzten Kampf zu gehen, und der Herausforderer führt überdeutlich und uneinholbar nach Punkten. Manche Zuschauer sind schon auf dem Heimweg, weil sie sich des Kampfausganges sicher sind.  Corbett packt der Übermut, und er tänzelt leicht um seinen Gegner herum, der sich schwerfällig bewegt, und will den Zuschauern seine Überlegenheit beweisen. Keiner glaubt mehr an einen Sieg des Weltmeisters, der lautstark von seiner Ecke angefeuert wird. Er geht auf den Herausforderer zu, will ihn mit Schlägen eindecken. Corbett lässt sich eher arrogant in die Seile fallen, lächelt dabei herausfordernd und will Jeffries der Lächerlichkeit preisgeben.  Auf schnellen Füßen will er nach rechts die Seile verlassen, da erwischt ihn ein vernichtender linker Haken des Weltmeisters ans Kinn. Corbett liegt platt auf dem Ringboden, wird ausgezählt und dann mit Riechsalz wieder zum Leben erweckt. Jeffries bleibt Weltmeister, weil er die einzige winzige Chance, die er hatte, brutal ausgenutzt hat. Das Gesetz des „They never come back“ wird mit diesem Kampf erstmals  in Stein gemeißelt. Trotz seiner boxerischen Überlegenheit, seiner Schnelligkeit, seiner Eleganz ist er dem Puncher nicht gewachsen gewesen. Im Ring wird der dennoch vom Publikum wegen seiner überragenden boxerischen Leistung gefeiert.

 Weitere Titelkämpfe und der Refight gegen Fitzsimmons

 Der Kampf mit Corbett hat dem Weltmeister seine Schwächen offenbart, und Jeffries analysiert sie mit seinem Trainer und den Betreuern. Sein Manager, immer noch William A. Brady, besteht darauf,  Jeffries‘ Schwächen, die im Kampf gegen Corbett zu beobachten waren,  im Training möglichst zu korrigieren und gleichzeitig  seine Stärken weiter zu perfektionieren. Brady verpflichtet den ausgebufften und technisch versierten Mittelgewichtsweltmeister, den Kalifornier Tommy Ryan, als Sparringspartner für Jeffries. Der fünf Jahre ältere Mittelgewichtschamp macht aus dem eher unbeweglichen und boxtechnisch limitierten Klotz zwar keinen Techniker, aber er bringt ihn dazu, sich einen Kampfstil anzueignen, der erfolgsversprechender ist: eine eher  geduckte, zusammengekauerte Stellung, die in US-amerikanischen Ringen als „crouch“ bezeichnet wird. Eine Fachzeitung  der damaligen Boxszene schreibt, dass Jeffries damit einem „Kampfwagen“ ähnlich wird, der sich ohne Unterlass im Vorwärtsgang befindet. Die Linke sei dabei „die vernichtende Kanone“.     

Im Jahre 1901 sieht man Jeffries drei Mal mit vorzeitigen Siegen im Ring. Mitte September knockt er Hank Griffin aus, den er schon zuvor geschlagen hatte, besiegt dann nur eine Woche später Joe Kennedy vorzeitig, und zwei Monate danach knockt er Gus Ruhlin in einem Refight aus.

Endlich  gelingt es Brady,  einen zweiten Kampf gegen Bob Fitzsimmons, den Exweltmeister, auszuhandeln.   Der hatte nach seinem Titelverlust alles getan, um sich für einen weiteren Kampf gegen Jeffries vorzubereiten. In fünf Kämpfen nach dem Jeffries-Fight hatte er durch Knockout gesiegt und dafür nicht mehr als zwölf Runden benötigt. Er ist überzeugt davon, dass er den Titel erneut holen kann.

Der Kampf, der am 25. Juli 1902 in San Francisco stattfindet, ist als eine der größten Schlachten in die Geschichte des Boxsports eingegangen. Der Herausforderer ist in glänzender Form, komplett austrainiert. Mittlerweile ist er schon an die Vierzig und wiegt etwas mehr als beim ersten Kampf. Dennoch wirkt er im Vergleich zu Jeffries, der an der Zwei-Zentner-Grenze kratzt, nach wie vor wie ein magerer Hungerhaken. Fitzsimmons gilt dennoch  als einer der härtesten Schläger in der damaligen Schwergewichtsszene. Jeffries hat dagegen in allen seinen Kämpfen ungeheure Nehmerqualitäten unter Beweis gestellt. Seine Fans behaupten, er habe einen Kopf, der so hart wie eine Billardkugel sei.

Der Herausforderer sucht von Beginn an die Entscheidung. Mit der Führhand trifft er den Körper des Weltmeisters und demonstriert seine boxerische Klasse. Eine Salve von harten Schlägen schickt er an den Kopf Jeffries‘, dessen Nasenbein bricht und dessen Gesicht schwer gezeichnet wird. Aber Jeffries steht, geht nicht einmal zu Boden. Später werden die Kommentatoren des Kampfes schreiben, dass jeder andere diese Treffer niemals verdaut hätte. Jeffries wird durch den Ring gejagt, taumelt, aber er steht. Und Fitzsimmons versucht alles, feuert mit all seinem boxerischen Können rechte und linke Hände auf den Weltmeister. Ohne Wirkung. In Runde acht stürmt er nach vorn, drängt den Weltmeister in die Seile, schlägt auf ihn ein, rechts, links, mit Kombinationen. Und Jeffries steht. Wütend brüllt er den Weltmeister an, dass er zuschlagen solle und lässt dabei die Deckung fallen. Jeffries schlägt. Nur eine Rechte trifft das Gesicht des Herausforderers, und der Kampf ist aus. Fitzsimmons bricht zusammen, liegt besinnungslos auf dem Ringboden. Jeffries bleibt Weltmeister. Später stellt sich heraus, dass beide Hände des Herausforderers gebrochen sind. Zerbrochen am Eisenschädel des Weltmeisters.

Rückkampf gegen Corbett und vorläufiger Rückzug

Ziemlich genau ein Jahr später ist es  James J. Corbett, der in einem zweiten Kampf versuchen will, den verloren gegangenen Weltmeistertitel zurückzugewinnen.  Von allen Seiten gewarnt, lässt er sich auf einen Refight gegen den Weltmeister ein. Er ist  bereits 37 Jahre alt, als er am 14. August 1903 mit Jeffries in San Francisco in den Ring steigt.  Zehn Runden dauert der auf 20 Runden angesetzte Kampf, dann ist der Exweltmeister am Ende seiner Möglichkeiten. Sein Sekundant wirft das Handtuch, weil Corbett durch die schweren Treffer des Titelträgers ersichtlich kampfunfähig ist.

Nach einem weiteren Knockout  gegen den kanadischen Schwergewichtler Jack Munroe in San Francisco Ende August 1904 verkündet der Weltmeister, dass er sich vom Profiboxen zurückziehen will. Der „Grizzlybär“, wie er von vielen genannt wird, tritt ab. Auf Jahrzehnte hin wird  er der einzige sein, der zwei Weltmeister im Schwergewicht entscheidend besiegt hat. Als Titelträger ist er nie geschlagen worden.

Das verunglückte Comeback

 Bevor er sich als Farmer in die Einsamkeit zurückzieht, will Jeffries seine Nachfolge „regeln“. Bei seinem Rücktritt hatte er sich nach den verfügbaren Quellen  zusichern lassen, dass er allein den nächsten Weltmeister im Schwergewicht bestimmen könne. Zunächst muss er einige Schwierigkeiten überwinden, um  sein Vorhaben zu realisieren, denn es gibt keinen Schwergewichtler, der nach seiner Einschätzung für den Titel in Frage kommt. Schließlich schreibt er dem US-Boxverband, dass der zum Schwergewichtsweltmeister ausgerufen werden solle, der im Kampf zwischen Marvin Hart und  Jack Root, einem gebürtigen Tschechen,  siege.  Marvin Hart war in seiner aktiven Zeit  einer seiner Sparringspartner, und er hatte ihn als einen harten Puncher mit großer Nehmerfähigkeit kennengelernt.  Hart, den man eigentlich nach heutigen Maßstäben  ins Halbschwergewicht einordnen müsste, wird tatsächlich nach dem Sieg gegen Root zum Schwergewichtsweltmeister ausgerufen. Als Ringrichter des Kampfes war übrigens James J. Jeffries bestellt worden. Später aber wird er leugnen, dass er den angesprochenen „Deal“ empfohlen habe, zumal  sich nach übereinstimmender Einschätzung schnell herausstellt, dass Hart einer der schwächsten Schwergewichtsweltmeister ist, die es je gegeben hat. Schon ein Jahr später verliert er den Titel an den Kanadier Tommy Burns, der übrigens nur 1,70 m groß, aber im Publikum wegen seines aggressiven und leidenschaftlichen Kampfstils äußerst beliebt ist. Kein weißer Schwergewichtler kann dem neuen Weltmeister das Wasser reichen, und erst Jack Johnson, den er nach langem Warten als Herausforderer akzeptiert, entreißt ihm 1908 den Titel.

Das weiße Amerika ist entsetzt und will nicht hinnehmen, dass ein Schwarzer das Schwergewicht beherrscht. Alle halten nach einem Herausforderer Ausschau, von dem man sich verspricht, dass er den Weltmeister das Fürchten lehren kann. Natürlich bleibt die Suche letztlich an James J. Jeffries hängen, den ungeschlagenen Exweltmeister, der sich seit seinem letzten Kampf in seine Farm zurückgezogen hat, gelegentlich aber in den Varietés auftrat und mit Muskelspielen die Leute unterhält. Er wird so  lange von den Veranstaltern und der weißen Öffentlichkeit bedrängt, bis er in einem Telegramm, das er aus Paris, wo er gerade im Varieté auftritt, schickt, sein Einverständnis zum Kampf gegen den aktuellen Weltmeister, Jack Johnson, erklärt.

Die Veranstalter überschlagen  sich in ihren Angeboten für den Kampf. Jack Gleason bietet z.B. 75.000 Dollar für die Boxer, falls der Kampf in San Francisco ausgetragen wird, Tex Rickard aber überbietet Gleason mit einem 125.000-Angebot für beide Boxer. In Nevada, in der kleinen Ortschaft Reno, soll der Kampf am 04. Juli 1910 stattfinden. Seit mehr als sechs Jahren hat Jeffries nicht mehr im Ring gestanden. Dennoch verkündet er, dass er nie in besserer Form gewesen sei und dass er bis 40 Runden im Ring aushalten könne.

Am Kampftag stehen die beiden schon am Nachmittag in der brütenden Hitze in der Arena. 35 Jahre ist der Exweltmeister alt, Johnson aber nur drei Jahre jünger. Die Massen jubeln der weißen Hoffnung zu, sind überzeugt davon, dass Jeffries derjenige sein wird, der endlich den Titel wieder in die Hände eines Weißen holt. Die ersten drei Runden sind ausgeglichen, dann aber wird deutlich, dass der Herausforderer chancenlos ist. Johnson lässt die wuchtigen Schläge des Exchamps ins Leere gehen und kontert mit schnell geschlagen rechten und linken Geraden und Haken. Jeffries wird schnell müde; er ist schwer gezeichnet, und Johnson macht mit Jeffries im Ring, was er will. Die Zuschauer haben es aufgegeben, Jeffries anzufeuern. Zu deutlich ist die Überlegenheit des schwarzen Weltmeisters. Dann die 15. Runde: Ein vernichtender rechter Haken trifft die Kinnpartie des Herausforderers. Der will sich aufrappeln, da geht Tex Rickard, der auch als Ringrichter fungiert, dazwischen und beendet den für Jeffries aussichtslosen Kampf.

Nach dem Kampf sagt Jeffries, dass er „zu alt“ gewesen sei, um Johnson wirklich etwas entgegensetzen zu können. Die Zeitungen des weißen Amerika können sich nicht dazu durchringen, die boxerische Glanzleistung von Jack Johnson zu feiern. Sie stimmen eher Trauergesänge an und meinen, dass das Profiboxen an der Tatsache scheitern werde, dass ein Schwarzer so lange Schwergewichtsweltmeister sein könne. Jack Johnson dagegen sagt kühl und sachlich, dass es keine Auseinandersetzung von „Schwarz“ und „Weiß“ gegeben habe, sondern einen Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht, nicht um irgendwelche Auseinandersetzungen um die „bessere Rasse“.

James J. Jeffries ist nach diesem Kampf nie mehr in den Ring zurückgekehrt. Nach 23 Kämpfen, in denen er 19 Siege errang, davon 16 Mal vorzeitig, und nur ein einziges Mal verlor (bei zwei „unentschieden“ ausgegangenen Kämpfen), tritt er endgültig vom Boxsport zurück und lebt fortan auf seiner Farm. Dort verstirbt er am 03. März 1953 im kalifornischen Ort Burbank.

Fazit

 Muhammad Ali, der Größte,  schreibt in seiner Biographie im Rückblick auf frühere Schwergewichtsweltmeister, dass Jeffries einer der unbeweglichsten und plumpesten Titelträger aller Zeiten gewesen sei, vergleichbar beispielsweise mit Jess Willard. Andere dagegen rühmen Jeffries‘ ungeheure Schlagkraft, seinen harten Punch und vergleichen ihn in dieser Hinsicht mit Schwergewichtsgrößen wie Rocky Marciano oder George Foreman. Jeffries gewaltige Nehmerfähigkeiten sind legendär, und durchaus mit den Qualitäten Rocky Marcianos in diesem Punkt auf eine Stufe zu stellen, denn auch von Rocky sind seine riesigen Nehmerfähigkeiten überliefert. Jedenfalls gibt  es wenige Schwergewichtler, die sich in der Lage zeigten, harte Treffer an Körper und Kopf so hinzunehmen, wie es bei James J. Jeffries zu beobachten war. Seine physische Verfassung war für die damaligen Verhältnisse überragend. Von daher aus sind auch seine Erfolge gegen durchaus technisch versiertere und auf schnelleren Beinen agierende Gegner, wie z.B. die früheren Weltmeister Fitzsimmons und Corbett, zu verstehen. Er zermürbte sie durch seine Standhaftigkeit und Tapferkeit und physische Überlegenheit, bis er eine Lücke fand, die ihm ein Ziel für seine gewaltigen Schläge bot.  Nach dem ersten Kampf gegen James J. Corbett muss man ihm zubilligen, dass er auch technisch was dazugelernt hatte, wenn auch in durchaus engen Grenzen. Während seiner Regentschaft als Schwergewichtsweltmeister blieb er ungeschlagen, so wie Gene Tunney oder Rocky Marciano, der aber während seiner gesamten Profikarriere nicht geschlagen werden konnte. Allerdings: Seine großen Puncherqualitäten und Nehmerfähigkeiten reichten gegen einen Ausnahmeschwergewichtler, wie es Jack Johnson zu seiner Zeit war, nicht aus. Gegen ihn, den ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeister, blieb er von Anfang an chancenlos.

Mehrfach ist ihm der Vorwurf gemacht worden, er sei rassistisch unterwegs gewesen, weil er als Titelträger  keinen schwarzen Herausforderer geduldet habe und dann nach seinem Rückzug  den Wünschen  einer auch rassistisch motivierten weißen Mehrheit zur Rückkehr in den Ring gegen Johnson gefolgt ist. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass ein solches Verhalten bei fast allen weißen Boxern in der damaligen Zeit zu beobachten war. Selbst Jack Johnson, der schwarze Titelträger, hat einiger seiner schwarzen Brüder nicht zum Titelkampf kommen lassen, denken wir nur an Sam Langford, den schwarzen kanadischen Ausnahmeschwergewichtler, dem Johnson nie eine Chance zum Titelkampf gegeben hat. Wenn man so will, beachtete Johnson also ebenfalls  die „Color Line“, die es verbot, gegen schwarze Herausforderer anzutreten. 

In der Reihe der Schwergewichtsweltmeister nimmt Jeffries zusammenfassend nur eine eher hintere Position ein. In der Erinnerung bleibt er ein kraftstrotzendes Schwergewicht, das über sensationelle Nehmerqualitäten verfügte und in seiner Zeit nicht ganz zu Unrecht den Schwergewichtsthron bestieg.

15 Gedanken zu “James J. Jeffries: Kraftpaket und Puncher

  1. wie immer total genialer artikel. interessant fand ich noch bei boxrec, dass der kampf gegen johnson auf 45 runden angesetzt war – 2 stunden 45 minuten boxen, die pausen nicht mitgerechnet, wenn jeffries nicht k.o. gegangen wäre, ist das nicht krass???

  2. Echt guter Artikel, aber ich finds schade, dass James J. Jeffries hier im artikel so limitiert dargestellt wird. Andere Quellen sagen zbs, dass James J. Jeffries die schlagkraft von foreman hatte nur mit dem Unterschied, dass James J. Jeffries die kondition für 20 oder 25 runden pressure fight hatte und nicht nur für 7 oder 8 wie Foreman damals. Wenn man James J. Jeffries’S schlagkraft, seine Kinn und seine ausdauer nimmt, dann gehört er schon zu der elite der Legenden. Johnson hat ihn zwar relativ einfach besiegt, aber Johnson war auch kein normaler champ und auch kein aussergewöhnlicher, sondern ehr ein jahrhundert Champ. Er war fast 100 kg schwer, extrem schnell auf den beinen, hatte ne richtig gute schlagkraft, hatte kondition für 50 oder mehr runden, war super intelligent im ring,hatte super reflexe und super nehmerfähigkeiten, er war sehr schwer zu treffen. Also, es ist keine schande gegen einen Jack Johnson zu verlieren.

  3. @Paul:

    Gibt es eigentlich eine logische Erklärung dafür, dass die boxer damals 20 Runden und mehr durchstehen konnten? Ok, nicht jedem heutigen Boxer geht wie Zbik oder Povetkin nach 6 Runden schon die Puste aus, aber 20 bis 45 Runden traue ich heute fast keinem zu. Wurde damals anders trainiert oder waren die Boxstile nicht so kraftzehrend wie heute?

  4. @ big F

    Dass er als Puncher vergleichbar mit Foreman zu sehen ist, habe ich im Artikel kurz angesprochen, und auch seine physische Stärke ist erwähnt. Du hast natürlich Recht, wenn Du die Ausnahmequalitäten von Jack Johnson hervorhebst. Nicht nur für Ali war er neben Joe Louis der Größte.

    @ Markus

    Damals war das Regelwerk in den amerikanischen Boxringen noch nicht so festgezurrt, wie es heute der Fall ist. Dass die Kämpfer in dieser Zeit im Vergleich mit heute mehr aushalten konnten, ist schwer zu beurteilen, wird aber von manchen „Experten“ so gesehen. 🙂

  5. @ Paul

    Es ist natürlich extrem schwer so einen Boxer aus dieser Ära des Boxens richtig einzuschätzen. Da gehen die Meinungen oft weit auseinander. Dein Artikel ist aber schon recht objektiv gehalten. Ich denke, es ist einfach ne art Glaubensfage, wie stark man einen James J. Jeffries oder einen Jack Johnson oder einen Jack Dempsey oder so einschätzt. Darum kann man sich auch viel drüber streiten, wenn man will.
    Wollte ja auch nicht deinen Artikel negativ kritisieren, sondern ehr hervorheben,dass er mir persönlich, etwas zu limitiert dargestellt ist,weil ich persönlich schon denke, dass James J. Jeffries sich in seiner bestzeit, vor keinem Boxer verstecken müsste.
    Ich kann mir durchaus vorstellen, das James J. Jeffries einen Foreman oder einen Klitscko oder einen Lewis oder Holyfield besiegt hätte. Nicht weil James J. Jeffries ein so guter Boxer war, sondern weil seine Kraft gemixt mit seiner Ausdauer und seinen nehmerfähigkeiten, eine Gefahr für jeden modernen Boxer darstellen würden. Es ist “einfach“ einen Boxer zu besiegen, der nur hart schlägt,aber es ist extrem schwer, einen Boxer zu besiegen, der nicht nur hart schlägt,sondern auch 20 runden lang so gut wie garnicht müde wird, jeden schlag wegsteckt und dabei seinen Mut nicht verliert.

  6. @ big F

    Du hast recht, wenn Du sagst, dass es auch heute der Schwergewichtselite schwer fallen würde, einen derart physisch starken und ausdauernden Athleten zu schlagen, wie es Jeffries nun einmal unzweifelhaft gewesen ist.

  7. @ Paul sagt:

    Im Vergleich mit dre heutigen Zeit waren Kämpfe damals in Zeitlupentempo ausgetragen dabei warren keine explosiven Schlagserien zu sehen, das Tempo war niedrig, entsprechen länger konnte man boxen.

  8. @ Paul

    Das Thema über die alten Legenden des Boxsports, ist viel zu umfangreich um es hier mit ein paar Worten und paar Zeilen abzutun. Ich finde es gut, dass du dir die Zeit nimmst und einige der alten Legenden hier ausführlich beschreibst. Das bringt mal etwas Abwechslung von dieser heutigen, meist halb qualitativen, Schwergewichtselite.

  9. Sehr cooler Artikel. Ich lese gerne vieles über das Schwergewichtsboxen. Gerade aus der goldenen Ära oder von Rocky Marciano.

    Von den anfängen der quensberry rules hab ich bisher allerdings keine bücher finden können. Deswegen meine frage an den autor: Diese ganzen Information, gerade die nebensächlichen dinge die den artikel so lesenswert machen, stammen die aus irgendeinem buch? Wenn ja welches.
    Oder woher weißt du das alles?

    danke vorab.

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